Weihungen und Weihgaben in antiken Heiligtümern

In den antiken Tempelkulten war das Weihen von Gaben neben Gebet und Opfer die dritte bedeutende Form, die es einem Individuum ermöglichte, in einem Tempel in Kommunikation mit einer Gottheit zu treten (Blau 1964; Firth 1975; Mauss 1968; Turner 1967).

 Weihungen scheinen zu den ältesten Sakralakten zu zählen. Bereits jungsteinzeitliche Tonfiguren werden als »Votivstatuetten« gedeutet (Müller-Karpe 1974, 267, 321, 334). In den Ruinen altorientalischer (z.B. Braun-Holzinger 1991 und 1997, Cagni 1988) und altägyptischer Tempel (z.B. Pinch 1993) dokumentiert eine Vielzahl ganz unterschiedlicher, mit Dedikationsinschriften versehener Objekte die Praxis der Weihung. Von immenser Bedeutung war die Praxis der Weihung auch in den Kulturen Altsüdarabiens (Gerlach 2003), Griechenlands (z.B. Dietrich 2003; Kyrieleis 1981) und Roms (Rohde 1963, 189 ff.). Ab dem 7. Jh. v. Chr. wurden griechische Tempel und deren »Schatzhäuser« mit von den Göttern dargebrachten Weihgaben geradezu überflutet. So sprich Herodot von 2000 Schilden, die im Heiligtum von Delphi auf einen Schlag dem Apollo geweiht wurden (Herodot 8, 27; vergleichbare Angaben für Olympia bei Pausanias 5, 26, 2ff.). Selbst ganze Schiffe konnten einer Gottheit geweiht und im Bereich des Tempels aufgestellt werden. Die anfallende Menge von Gaben war nicht nur in den griechischen und römischen, sondern auch in den altorientalischen, ägyptischen und altsüdarabischen Heiligtümern so groß, daß sie, um neue Weihgaben aufstellen zu können, immer wieder abgeräumt werden mußten. Sehr häufig wurden sie dabei, wohl um sie der Gottheit nicht zu nehmen, in Gruben »bestattet«.

 Bei archäologischen Ausgrabungen wurden in nahezu allen großen Heiligtümern der Alten Welt Objekte, teils in situ, zumeist aber in sekundärer Fundlage (Deponierung) entdeckt, die als Weihgaben gedeutet werden. Eine klare Abgrenzung der Weihgaben, die als Geschenke für eine Gottheit im Tempel oder in seinem Umfeld aufgestellt waren, von einfachem Tempelinventar ist freilich in vielen Fällen nur dann möglich, wenn die entsprechenden Objekte mit Dedikationsinschriften versehen sind oder andere schriftliche Quellen eindeutige Hinweise liefern.

Es liegt auf der Hand, daß ein tieferes Verständnis der antiken Weihepraxis nur dann erzielt werden kann, wenn archäologische Befunde mit den zur Verfügung stehenden schriftlichen Quellen verknüpft werden. Denn die archäologischen Befunde allein sind in der Regel nicht geeignet (insbesondere, wenn Weihgaben in sekundärer Fundlage vorgefunden werden), über den rituellen Akt der Weihung, über Intentionen und Anlässe von Dedikationen hinreichend Aufschluß zu geben. Freilich fehlen bislang umfassende Studien zu dem Phänomen »Weihung« nicht nur im Bereich der Klassischen Archäologie und den anderen Archäologien, sondern auch in der Altorientalistik, der Ägyptologie und für den Bereich des Alten Südarabiens.

Die Verknüpfung von Ritualforschung, Philologien und Archäologien, die für ein tieferes Verständnis von Weihungen und Weihgaben in antiken Heiligtümern unabdinglich ist, wurde weder in den altertumswissenschaftlichen Einzeldisziplinen, noch in einem breiteren altertumswissenschaftlichen Kontext wirklich geleistet. Mit der Symposienreihe »Weihungen und Weihgaben in antiken Heiligtümern« soll hier ein erster Schritt erfolgen, indem Archäologen, Ritualforscher, Philologen und Althistoriker zusammengeführt werden. Durch eine Kooperation der Heidelberger Altertumswissenschaften, des Heidelberger Sonderforschungsbereiches »Ritualdynamik. Soziokuturelle Prozesse in historischer und kulturvergleichender Perspektive« (SFB 619) und des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) kann dies geleistet werden.

 Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) ist das weltweit größte archäologische Forschungsinstitut, das Ausgrabungen in sehr bedeutenden altorientalischen (DAI Baghdad und Damaskus), altägyptischen (DAI Kairo), altsüdarabischen (DAI Sanaa), griechischen (DAI Athen) und römischen (DAI Rom, DAI Madrid) Heiligtümern unternimmt. Das DAI hat seine Forschungsvorhaben in Clustern zusammengeführt. Eines davon, Cluster 4, ist der Erforschung von antiken Heiligtümern gewidmet. Im Rahmen des DAI-Clusters 4 werden Ausgrabungsprojekte auf der Iberischen Halbinsel, Italien, Griechenland, Türkei, Ägypten, dem Vorderen Orient und Südarabien bis zu den östlichen Grenzen der hellenisierten Welt in Baktrien. »Weihgaben in antiken Heiligtümern« ist einer der Forschungsschwerpunkte des DAI-Clusters.

 

In der Reihe von insgesamt drei geplanten Symposien, die zu gleichen Teilen vom SFB »Ritualdynamik« und dem Deutschen Archäologischen Institut finanziert werden, sollen exemplarisch ausgewählte Grabungsbefunde aus dem Alten Orient, aus dem alten Ägypten, aus Altsüdarabien und aus der griechischen und römischen Kultur vorgestellt und im Hinblick auf Weihepraktiken untersucht werden. Mit der Symposienreihe soll ein zunächst in weiten Teilen auf die Altertumswissenschaften begrenzter interdisziplinärer Zugang zu dem Phänomen »Weihung« eröffnet und eine Kooperation zwischen dem Deutschen Archäologischen Institut und dem Heidelberger Sonderforschungsbereich »Ritualdynamik« begründet werden. Ziel des Vorhabens ist eine altertumswissenschaftlich-interdisziplinäre Publikation über das Phänomen der Weihung in den Kulturen der Antike.

 Bei dem ersten Symposion, das im September 2009 im IWH stattfand, wurden zunächst exemplarisch Befunde von Weihungen und Weihgaben sowie Formen der Votivpraxis aus dem Alten Orient, dem Alten Ägypten, aus Altsüdarabien und dem antiken Griechenland vorgestellt. Die sehr fruchtbaren, im interdisziplinären Kreise geführten Diskussionen der Einzelbefunde ergaben die Notwendigkeit, zum tieferen Verständnis des Phänomens »Weihung in antiken Heiligtümern« folgenden Problemkreisen und Fragestellungen verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken.

 1. In dem zweiten Symposion soll der leicht unterschätzten Vielschichtigkeit der Intentionen von Weihungen besondere Beachtung geschenkt werden. Zum einen gilt es, soweit möglich, den in den jeweiligen Kulturen und Epochen namhaft gemachten theologischen Begründungen für die Praxis der Weihung nachzuspüren und im Gespräch Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Zum anderen zeigte sich, daß mit der Frage nach den Intentionen von Weihungen die bisher nicht hinreichend gewürdigte, aber ungeheuer wichtige und weiterführende Unterscheidung von Weihungen durch Privatpersonen einerseits und von Weihungen durch Vertreter von Regierung oder ‘Staat’ andererseits eng verknüpft ist. So sehr auch Weihungen theologisch begründet sein mögen, so sehr scheinen sie in allen untersuchten antiken Kulturen auch ein äußerst wichtiges Element der Selbstdarstellung von gesellschaftlichen Gruppen und Kräften und dementsprechend ein attraktives und breit in Anspruch genommenes Mittel der Propaganda gewesen zu sein.

2. In diesem Zusammenhang soll auch auf die mögliche Einbindung von Weihungen in eine kalendarisch festgelegte Kultordnung, in Feste und religiöse Zeremonien besonders geachtet werden.

 3. Besonderer Beachtung bedarf auch das jeweils festgestellte Spektrum von Weihgaben, einschließlich der Phänomene der Standardisierung, der »Miniaturisierung«, der Bedeutung der materiellen Qualität und der spezifischen Herstellungspraktiken/Behandlung von Weihgaben. Manche Weihgaben wurden eigens zum Zweck der Weihung angefertigt. Andere stammten aus dem privaten Besitz der weihenden Person (primäre und sekundäre Weihungen). Diese Erkenntnis muß bei der Wertung archäologischer Funde berücksichtigt werden.

 4. Es gilt aufgrund der Verknüpfung von Informationen, die der Ausgrabungsbefund selbst liefert, mit jenen, die eine Auswertung von schriftlichen Quellen ergibt, Rituale des Dedikationsaktes zu rekonstruieren. Hierbei muß auch der Frage nachgegangen, wo, wann und wie lange Weihgaben öffentlich ausgestellt wurden.

 5. Einer gründlicheren Untersuchung bedarf auch das immer wieder zu beobachtende Phänomen der »Deponierung« von Weihgaben im Erdboden. Denn der archäologische Befund eines Weihgabendepots läßt zunächst offen, ob Weihgaben im Rahmen des Aktes der Weihung selbst in die Erde gelangten, oder ob sie zunächst sichtbar ausgestellt waren, um dann, etwa um Platz zu schaffen, abgeräumt und bestattet zu werden. Es gilt, gemeinsam Kriterien zu entwickeln, die erlauben, einen Ausgrabungsbefund entsprechend zu deuten.

 6. Die Mehrheit der in dem ersten Symposion vorgestellten Befunde ließ deutlich erkennen, daß Weihungen in antiken Heiligtümern nicht oder kaum denkbar sind ohne eine wie immer geartete Regulierung der Votivpraxis. Es gilt über entsprechende Kontroll- und Regelungsinstitutionen nachzudenken. Mit diesem Themenbereich ist auch die Frage zu verbinden, ob die bisweilen auftretende Uniformität von Weihgaben dadurch zu erklären ist, daß diese vor Ort von ansässigen und eigens hierfür eingerichteten Produktionsstätten erworben werden mussten.

 7. Bei der Beobachtung von »Weihgabendepots« und den Spuren öffentlich aufgestellter Weihgaben ist leicht übersehen, daß neben Weihgaben z. B. in Form von Objekten wie Statuetten, Waffen usw. (wie vor allem schriftliche Quellen zeigen) der Weihung von ganzen Gebäuden und Bauteilen, von Personen sowie Tieren, Naturalien und anderen vergänglichen Materialien häufig eine große Rolle zukam. Es gilt Schriftquellen und Bildträger zusammenzutragen, die hierüber Informationen liefern können und es ist zu diskutieren, inwieweit sich solche Weihungen im archäologischen Kontext nachweisen lassen.

Auch bei dem geplanten zweiten Symposion Präsentationen stets in »Tandem-Vorträgen« erfolgen, wobei jeweils einem Archäologen ein Ritualforscher bzw. ein Epigraphiker, ein Philologe, ein Historiker der entsprechenden Disziplin (Altorientalistik; Ägyptologie; Altsemitistik; Klassische Philologie; Alte Geschichte) zugeordnet sein wird, der den jeweils vorgestellten Befund aus der Perspektive seiner Disziplin zu bewerten versucht. Die Diskussion der Befunde soll einen breiten Raum einnehmen.

Kontakt:
Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients
Prof. Stefan Maul
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Letzte Änderung: 17.02.2015