Innovative moderne Bildgebung der Muskulatur - Motor der translationalen Forschung bei Muskelerkrankungen

Muskelerkrankungen sind eine erstaunlich heterogene Gruppe mit einer Vielzahl von Krankheitsenti­täten, deren gemeinsames Charakteristikum die Muskelschwäche darstellt, welche jedoch ein sehr unspezifisches Symptom ist. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Muskelerkrankungen zur Gruppe der Seltenen Erkrankungen gehören, d.h. von 10.000 Menschen sind weniger als 5 betroffen. Oft ken­nen Ärzte die Krankheitsbilder zu wenig und an einzelnen Universitätskliniken ist es schwer, die für die Forschung notwendigen Patientenzahlen zu akquirieren, um statistisch signifikante Ergebnisse zu erzielen – nicht umsonst sollen derzeit in Baden-Württemberg Zentren für Seltene Erkrankungen etab­liert werden, zumal in Deutschland rund vier Millionen Menschen mit einer der etwa 6.000 bekannten Seltenen Erkrankungen leben. Das sind rund 5% der Bevölkerung, jede oder jeder 20ste, potenziell: ein Kind in jeder Schulklasse. Glaubt man moderner neuromuskulärer Standardliteratur, so spielt die Bildgebung bei der Aufarbeitung von Muskelerkrankungen eine eher untergeordnete Rolle, da keine pathognomonischen Befunde zu erwarten seien und so wird der routinemäßige Einsatz in der Klinik nicht empfohlen. Wieso wird der Bildgebung bei Muskelerkrankungen ein so geringer Stellenwert zu­geschrieben? Nun, prinzipiell können Standardtechniken nur die Morphologie beurteilen, z.B. vermag die konventionelle Bildgebung mittels Protonen(1H)-Magnetresonanztomographie (MRT) vier typische morphologische Veränderungen in der Muskulatur festzustellen, wie ödematöse Veränderungen, li­pomatöse Veränderungen, die Atrophie oder die Hypertrophie des Muskels, jedoch sind diese mor­phologischen Veränderungen von eingeschränkter Spezifität. Natürlich reicht die Morphologie aus, um Traumafolgen wie ein muskuläres Hämatom gut darzustellen, aber gerade bei der großen hetero­ge­nen Gruppe der Myopathien vermögen die Standardtechniken keine genaue Einordnung, da die Pathophysiologie nicht dargestellt werden kann. In den letzten Jahren konnte durch Implementierung neuer funktioneller und moderner morphologischer Techniken die translationale Forschung zum Wohle des Patienten vorangebracht werden.

Erstes Beispiel ist hier die 23Natrium-MRT: Basiert die Standard-MRT-Bildgebung auf der Darstellung der Protonen (1H), vornehmlich des Wassers und der Kohlenwasserstoffverbindungen im menschli­chen Körper, so zieht die 23Natriumbildgebung ihr Signal aus den Natriumatomen des menschlichen Körpers. Zudem sind spezielle Hardwaretechniken notwendig, z.B. eine doppelresonante MRT-Spule, d.h. eine Spule, die in der Resonanzfrequenz von Natrium (16,8 MHz bei 1,5 Tesla; 76 MHz bei 7 Tesla) und Protonen (63,6 MHz bei 1,5 Tesla; 300 MHz bei 7 Tesla) arbeitet. Einschränkend wirkt sich dabei das im Vergleich zum Protonensignal etwa 20000-fach niedrigere Natriumsignal aus. Daher mussten Messtechniken durch Medizinphysiker entwickelt werden, die das Signal sehr effizient akqui­rieren [Nagel 09a]. Damit lassen sich im Falle von muskulären Natriumkanalerkrankungen wertvolle Informationen über die zelluläre Natriumhomöostase gewinnen, die inzwischen dazu beigetragen ha­ben, interdisziplinär erfolgreiche Therapiekonzepte für einige dieser Kanalopathien zu entwickeln. Bei Natriumkanalerkrankungen, z.B. der Paramyotonia congenita, führt ein pathologisch veränderter Nat­riumkanal auf der Muskelzellmembran dazu, dass unter typischen Provokationsmechanismen, wie z.B. Kühlung, ekzessiv Natriumionen in die Zelle ein­strömen, was zu reversiblen Muskelsteifigkeiten und Lähmungen führt. Die 23Natrium-MRT vermag bei diesen Erkrankungen, parallel zur Ausbildung einer Parese, die intramuskelzelluläre Natriumakkumu­lation zu visualisieren und zu quantifizieren – es gelingt sogar, die erfolgreiche Therapie zu überwachen, z.B. vermag des Medikament Mexiletin, die pathologischen zellulären Natriumkanäle zu blockieren, was dem Patienten einen Kraftgewinn ein­bringt [Weber 06]. In der 23Natrium-MRT kann man eine reduzierte intrazelluläre Natriumakkumulation unter Mexiletin-Medikation nachweisen. Ein weiteres Beispiel ist die seltene Hypokaliämische periodi­sche Paralyse Typ1, bei der ein Muskelödem und eine exzessive Natriumakkumulation in den Muskelzellen vorliegen können [Jurkat-Rott 09]. Die Patienten haben in jungen Jahren außer ödema­tösen Veränderungen noch normale Muskulatur, mit fortschreitendem Alter bildet sich eine fettige Degeneration aus. Diese Patienten entwickeln eine Dau­erschwäche der Muskulatur, die durch Medi­kation mit Acetazolamid erfolgreich behandelt werden kann. Parallel zur Reduktion des muskulären Ödems und der muskelzellulären Natriumakkumulation in der MRT kommt es zu einer Verbesserung der Kraft, ja in einigen Beispielen gelingt es sogar, rollstuhlpflichtige Patienten wieder gehfähig zu machen [Jurkat-Rott 09]. Mittlerweile sind Weiterent­wicklungen der 23Natrium-MRT-Technik, insbe­sondere bei höheren Feldstärken (3 und 7 Tesla – Standard sind derzeit 1,5 Tesla MR-Tomographen) vorhanden, die einen noch sensitiveren Einblick in Veränderungen der intrazellulären Natriumkonzent­ration ermöglichen [Nagel 09b,c]. Inzwischen gibt es auch technisch die Möglichkeit mittels Hochfeld-MRT das Signal von Chloridionen [Kirsch 10] und Kaliumionen [Augath 09] zu messen. Mit der 35Chlor-MRT Methode könnte über die intrazelluläre Chlo­ridkonzentration der Muskelzellen das Ru­hemembranpotential der Muskelfasern mit der Nernst-Gleichung für Chlorid berechnet werden, mit der 39Kalium-MRT könnte zusammen mit der 23Natrium-MRT die Funktion der Natrium-Kalium-Pumpe und damit die Zellvitalität beurteilt werden – für die dazu notwendigen interdisziplinären Studien steht am Deut­schen Krebsforschungszentrum Heidelberg einer der wenigen für Untersuchungen am Menschen zugelassenen 7-Tesla MR-Tomographen zur Verfügung.

Weitere Beispiele sind die 31Phosphor-MR-Spektroskopie zur Quantifizierung des Muskelenergiestoff­wechsels und die Protonen(1H)-MR-Spektroskopie zur Quantifizierung der intramyozellulären Lipide, welche in en­gem Kontakt mit den zellulären Mitochondrien stehen und bei trainierten Personen als Energielieferanten dienen, aber auch bei untrainierten Typ-2-Diabetikern mit Insulinresistenz der Mus­kelzellen erhöht sind [Boesch 07]. Obwohl die 31Phosphor-MR-Spektroskopie bei einigen muskulären Stoffwechselstörungen, wie der Glykogenose Mc Ardle als Diagnostikum eingesetzt wer­den kann (kein Abfall des pH-Wertes unter Muskelarbeit), spielt sie wie die 1H-MR-Spektroskopie in der klini­schen Routine keine Rolle. Neuere 31Phosphor-spektroskopische Bildgebungstechniken er­möglichen auch die räumliche Darstellung, z.B. des Phosphokreatinsignals und somit eine bildliche zweidimensi­onale Darstellung des Energieniveaus im Muskel [Schröder 06] und könnten die Akzep­tanz bei behandelnden Ärzten steigern. Neben der funktionellen MRT erlauben moderne MR-Tomographen nun auch die Darstellung des gesamten menschlichen Körpers von Kopf bis zu den Füßen. Klinisch er­laubt diese Ganzkörper-MR-Technik das Aufsuchen einer geeigneten Biopsiestelle, beispielsweise zur Abklärung bei Verdacht auf Dermato- oder Polymyositis, da Myositiden fokal den Muskel befallen kön­nen und Biopsate in etwa 25% der Fälle falsch negativ sind, wenn keine Bildgebung zur Biopsie­planung eingesetzt wird. In der MRT führen diese Erkrankungen typischerweise zu ödematö­sen Muskelveränderungen, die gut mittels Ganzkörper-MRT identifiziert und topographisiert werden kön­nen, so dass die Muskelbiopsie in einem nicht komplett verfetteten Muskel mit ödematösen Verän­derungen als Ausdruck von florider Pathologie geführt werden kann. Allerdings ist das Problem, dass diese ödematösen Veränderungen nicht krankheitsspezifisch sind, denn z.B. auch eine Rhabdomyo­lyse, eine Muskeldystrophie oder eine akute Denervierung können sich durch ödematöse muskuläre Veränderungen kenntlich machen. Hier hilft dann eine weitere innovative, moderne Technik, der kon­trastverstärkte Ultraschall, der bei Vorliegen einer histologisch gesicherten Dermato- oder Polymyosi­tis eine signifikant erhöhte Muskelruhedurchblutung quantifizieren kann im Vergleich zu gesunden Probanden und solchen Patienten, bei denen sich der Myositisverdacht histologisch nicht bestätigte. Ebenso konnte bei histologisch gesicherter Polymyositis unter immunsuppressiver Therapie, einher­gehend mit einer Verbesserung der Muskelkraft und einer Reduktion der Kreatinkinase, eine Erniedrigung der muskulären Perfusion festgestellt werden [Weber 06]. Ultraschall ist das zumeist zuerst und am häufigsten angewandte bildgebende Verfahren bei Muskelerkrankungen, insbesondere im sportmedizinischen Bereich (z.B. bei der Diagnostik und Verlaufsbeurteilung von Muskelfaserris­sen, Hämatomen, Sehnenverletzungen und Ergüssen). In den letzten Jahren hat sich der Ultraschall dahingehend weiterentwickelt, dass er aufgrund der Möglichkeiten durch den Einsatz von Ultraschall­kontrastmitteln mittlerweile auch (patho-) physiologische Informationen wie die muskuläre Mikrozirku­lation in Echtzeit visualisieren kann [Krix 09a,b] – und das in signifikanter Korrelation mit dem Belastungszustand, der muskulären Kapillarisierung und der aeroben Kapazität [Weber 09, 10]. Inzwi­schen sind eine Reihe weiterer hochinteressanter Techniken entwickelt worden, welche für die Muskelphysiologie und Pathophysiologie wertvolle Zusatzinformationen liefern können, wie z.B. die MR- oder Ultraschall-Elastrographie zur Visualisierung und Quantifizierung der Gewebesteifigkeit und zur Erfassung von Unterschieden der Gewebeelastizität (derzeit insbesondere von Tumor und gesun­dem Gewebe) sowie die Diffusions-Tensor-Bildgebung zur Darstellung der Muskel- und Nervenfaser­verläufe. Translationale Forschung und insbesondere die interdisziplinäre Vernetzung der einzelnen vor­klinischen und klinischen Arbeitsgruppen erscheint vor allem bei Seltenen Erkrankungen wie den Muskelerkrankungen entscheidend für den wissenschaftlichen Fortschritt. Daher sollen in diesem Symposiumsvorhaben in Übersichtsreferaten der Stand der Forschung und offene Fragen bei Muskel­erkrankungen auf verschiedenen Ebenen (von der Zellbiologie bis zur Ganzkörpervolumenbildgebung) aus der Expertise verschiedener Fachrichtungen beleuchtet werden, um gemeinsame innovative For­schungs- und Therapieansätze zu diskutieren. Synergismen sollen genutzt werden, um moderne, interdisziplinäre Studienkonzepte zu entwickeln und um möglichst schnell den Patienten mögliche klinische Anwendungen anbieten zu können. Daher werden auf dem Symposium Radiologen, Physi­ker, Anatomen, Pathologen, Physiologen, Biologen, Neurologen und Orthopäden referieren. Insbe­sondere sollen präklinische und klinische Arbeitsgruppen über die enorme technologische Entwicklung und die sich nun eröffnen­den Möglichkeiten moderner Bildgebung zur Visualisierung und Quantifizie­rung der muskulären Mikrozirkulation, der Natriumhomöostase, des Energie- oder Fettstoffwechsel informiert werden, die, so die derzeitigen Studien, wahrscheinlich die muskuläre Diagnostik und The­rapie revolutionieren werden.

Literatur:

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Letzte Änderung: 23.05.2018
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